- Arno Becker, Oberfinanzdirektion NRW, im Gespräch mit medienvorsorge.de
Das Internet ist ein wichtiges Instrument für die Steuerfahndung
Was denkt eigentlich das „Finanzamt für Strafsachen“ über Künstler? Wie ermittelt die Steuerfahndung gegen verdächtige Musiker? Und was passiert, wenn ich bei den Reisekosten vorsätzlich schummele? Wir haben diese Fragen an Arno Becker, Leitender Regierungsdirektor, weitergereicht. Er ist bei der Oberfinanzdirektion NRW als Referatsleiter tätig und zuständig für Außenprüfungsdienste, Steuerstrafrecht und Umsatzsteuer. Die Oberfinanzdirektion hat die Dienst- und Fachaufsicht über alle Finanzämter in Nordrhein-Westfalen.
Herr Becker, was ist ein typisches Vergehen im Medien- und Künstlerbereich?Soweit Sie hier nach Steuervergehen fragen, unterscheidet sich die Begehungsweise naturgemäß nur wenig von anderen Branchen: Einnahmen werden in den Steuererklärungen verschwiegen, private Kosten als Betriebsausgaben angesetzt, Steuerbefreiungen zu Unrecht in Anspruch genommen, Umsätze zu niedrig deklariert oder Vorsteuern zu Unrecht geltend gemacht.
Sie können es aus Ihrer jahrelangen Erfahrung realistisch einschätzen: Wie oft steckt Vorsatz dahinter, wie oft Unwissenheit?
Das Steuerrecht ist ja, wie Sie wissen, kompliziert. Und gerade im Umsatzsteuerrecht gibt es auch viele Sondervorschriften für Künstler, wie zum Beispiel die Umsatzsteuerbefreiungen für bestimmte Theater, Orchester, Chöre, Kammermusikensembles und bestimmte Formen von Ballett- und Tanzschulen. Und wenn wir Fehler in der Steuererklärung feststellen, kann man sich fragen: Ist es einfach Unwissenheit oder werden die Steuergesetze bewusst unzutreffend ausgelegt? Aber nicht nur deswegen ist es schwer, den Anteil der Fallgestaltungen mit beziehungsweise. ohne Vorsatz einzuschätzen; Dazu ist der Künstler- und Medienbereich selbst einfach zu vielfältig. Zudem ist es ein Unterschied, ob sie es mit einem in Verwaltungsdingen noch unerfahrenen, jungen Künstlern zu tun haben oder etwa mit einer großen Künstleragentur, die durchgängig steuerlich beraten wird bzw. sogar über eine eigene Rechts- oder gar Steuerabteilung verfügt.
Ein typischer Fall?
Insoweit kann man sicherlich als „Klassiker“ den Steuerabzug bei Einkünften im Ausland lebender Künstler wegen einer im Inland ausgeübten Tätigkeit nennen. Hier hat der Veranstalter als Schuldner der Vergütung einen Steuerabzug für Rechnung des Künstlers vorzunehmen, der ab 2014 aber nicht mehr beim örtlich zuständigen Finanzamt, sondern beim Bundeszentralamt für Steuern anzumelden und an dieses abzuführen ist (§ 50a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes). Diese Vorschriften sind kleinen oder neu gegründeten Künstleragenturen oftmals nicht oder nur wenig bekannt. Die Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen hat sich aber gerade in den letzten Jahren sehr darum bemüht, hier durch Aufklärung möglichst frühzeitig nach Betriebsaufnahme Abhilfe zu schaffen.
Wie kommen Sie eigentlich an Ihre Informationen?
Alle Finanzämter unterrichten sich zunächst einmal aus allgemein zugänglichen Quellen; das können Tageszeitungen, Plakate und natürlich auch das Internet sein. In Betriebsprüfungen werden aber auch sogenannte Kontrollmitteilungen geschrieben. Wenn etwa ein Hotel eine Silvesterfeier ausgerichtet hat und dort eine Musik- oder sonstige Künstlergruppe aufgetreten ist, macht das Hotel die dadurch entstandenen Kosten als Betriebsausgaben geltend. Eine Betriebsprüfung des Hotels kann dann durchaus zur Folge haben, dass der Inhalt der von der Musikgruppe ausgestellten Rechnung dem für diese zuständigen Finanzamt übersandt wird, damit dieses wiederum prüfen kann, ob die insoweit erzielten Einnahmen der Gruppe auch in eine Steuerklärung eingeflossen sind.
Und sonst?
Oft erhalten die Finanzämter auch Anzeigen von Gerichten, von anderen Behörden oder auch von Bürgern; gerade im letztgenannten Fall wird sorgfältig geprüft, wie substantiiert diese Angaben sind, gegebenenfalls stellt die Steuerfahndung entsprechende sogenannte Vorermittlungen an. Ergibt sich aufgrund dessen ein strafprozessualer Anfangsverdacht für das Vorliegen eines Steuergefährdungs- oder Steuerhinterziehungstatbestands, wird ein Straf- oder ein Bußgeldverfahren eingeleitet.
Wie können Sie in solchen Fällen vorgehen?
Im Rahmen eines solchen Verfahrens hat die Steuerfahndung grundsätzlich alle Rechte, die auch der Polizei zustehen. Das reicht von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen über Observationsmaßnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen, bis hin zur Durchführung von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) in Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung. Natürlich müssen die im Einzelfall zu treffenden Maßnahmen im angemessenen Verhältnis zu Schwere und Bedeutung der jeweiligen Steuerstraftat stehen, was bei grundrechtsintensiven Eingriffen wie Durchsuchungen, Beschlagnahme und TKÜ-Maßnahmen durch die gesetzlich zwingend vorgesehene vorherige Einholung richterlicher Beschlüsse gewährleistet wird. Bevor es also zu einer Durchsuchung kommt, erfolgt erst einmal eine gründliche Prüfung einmal durch die Steuerfahndung und dann noch durch einen unabhängigen Richter.
Tourdaten etc. sind heutzutage durch das Internet transparent. Haben Sie früher auch mal anonym Konzerte besucht, um sich einen Überblick zu verschaffen?
Anonyme Konzertbesuche auf Staatskosten? Freilich ein angenehmer Gedanke, war bzw. wäre aber auch ohne Internet sicherlich nicht erforderlich. Denn gerade größere Veranstaltungsorte verfügten schon immer über Veranstaltungskalender, Vorankündigungen, Plakatierungen u.v.m. Sicherlich war die Informationsbeschaffung ohne Internet zumindest zunächst zeitaufwändiger; wenn aber die Quellen erst einmal erschlossen waren und sich die Kontakte der jeweiligen Finanzämter zu Veranstaltern und Veranstaltungsorten verfestigt hatten, war auch hier der Ermittlungsaufwand durchaus leistbar. Aber das Internet ist sicherlich ein wichtiges Instrument für die Steuerfahndung.
Auf Ihrer Internetseite gibt es die Möglichkeit, Steuerhinterzieher anonym anzuzeigen. Wer nutzt diesen Weg?
Die Bandbreite ist enorm und reicht vom aufmerksamen Bürger, der auf einem Baugrundstück in der Nachbarschaft wochenlang die „Schwarzkolonne“ ein Haus hochziehen sieht, über den eifersüchtigen Freund oder die geschiedene Ehefrau bis hin zum wirtschaftlichen Konkurrenten; denn man darf natürlich nicht übersehen, dass Steuerzahlungen bzw. deren Höhe zu den durchaus nicht unerheblichen Kostenfaktoren eines Unternehmens gehören und damit ein Wettbewerbskriterium darstellen.
Was passiert eigentlich, wenn ich zum Beispiel gar nicht bei 25 Vorsprechen in zehn Tagen war, ich die Kosten aber bewusst dafür geltend mache und Sie das merken?
Lassen Sie mich zunächst mal sagen: Wenn Sie, wie von Ihnen geschildert, gegenüber dem Finanzamt bewusst falsche Angaben machen und dadurch Steuern verkürzt werden, dann handelt es sich um Steuerhinterziehung. Und die ist strafbar! Übrigens: Auch der Versuch ist bereits strafbar. Bei der Bemessung des Strafmaßes kommt es auf viele Faktoren an: Ein wesentlicher Faktor bei Bemessung einer Geldauflage, einer Geldbuße, einer Geld- oder Haftstrafe ist natürlich die Höhe der hinterzogenen Steuern, wenngleich diese nicht das einzige Kriterium ist. Ebenfalls spielen etwa die Beweggründe, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, eine durchaus gewichtige Rolle.
Was heißt das für unser konkretes Beispiel?
Die Lösung ihres Beispielsfalls hängt deshalb zunächst einmal davon ab, in welcher Höhe überhaupt Reisekosten geltend gemacht wurden sowie davon, ob und ggf. in welcher Höhe der Veranstalter Reisekostenerstattungen geleistet hat. Außerdem wirken sich geltend gemachte Reisekosten aufgrund des progressiven Tarifverlaufs je nach Höhe des Gesamteinkommens unterschiedlich auf die Höhe der Einkommensteuer aus. Wurden in einem solchen Fall zudem Vorsteuern aus Reiseleistungen geltend gemacht, wäre auch die entsprechende Umsatzsteuerverkürzung zu berücksichtigen. Aber: Bevor es tatsächlich zu einem Aufgriff kommt, hat – und das Thema ist ja derzeit in aller Munde – der Steuerpflichtige, solange die Tat noch nicht entdeckt ist, die Möglichkeit einer Selbstanzeige gemäß § 371 der Abgabenordnung und kann, wenn alle Gesetzesvoraussetzungen erfüllt sind, Straffreiheit erlangen.
Wie lange sollte ich grundsätzlich meine Unterlagen aufbewahren?
Fü̈r betriebliche Unterlagen bestimmt das Gesetz eine zehn- bzw. sechsjährige Aufbewahrungsfrist, je nachdem, um welche Unterlagen es sich handelt. Eine genaue Auflistung würde an dieser Stelle zu weit führen. Die meisten dieser Unterlagen können auch auf Datenträgern aufbewahrt werden, wenn Identität, Authentizität, unverzügliche Lesbarmachung und maschinelle Auswertbarkeit der Daten gewährleistet sind. Excel-Anwendungen etwa genügen dem nicht. Für private Unterlagen, die beispielsweise die zutreffende Geltendmachung von Sonderausgaben oder von außergewöhnlichen Belastungen belegen, existieren zwar keine gesetzlichen Aufbewahrungsfristen; aus Beweisgründen empfiehlt es sich aber, diese Unterlagen bis zur Bestandskraft des jeweiligen Einkommensteuerbescheids aufzuheben.
Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch.