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„Das Sozialversicherungsrecht ist gerecht und bedarf keiner Reform!“

Warum ist Dieter Bohlen bei „Deutschland sucht den Superstar“ als Künstler anzusehen, Bär Läsker aber nach eigener Aussage nicht? Warum ist ein Tanzlehrer für „Tango Argentino“ kein Künstler so wie beispielsweise der Tanzlehrer für „Afro-Caribbean-Dance“? Und dann immer wieder die Frage, ob ein abhängiges oder aber ein freies Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Führt ein Widerspruchsverfahren gegenüber der Künstlersozialkasse oder der Deutschen Rentenversicherung nicht zum gewünschten Erfolg, landen die Fälle häufig vor den zuständigen Sozialgerichten. Führt auch das nicht zum Ziel, geht es unter Umständen weiter zum Landessozialgericht. Ein Grund für medienvorsorge.de auch mal mit einem Richter vom Landessozialgericht zu sprechen. medienvorsorge.de stiess bei Herrn Peter Allgeier, Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, auf offene Ohren und vereinbarte auch gleich, dass Herr Allgeier sich künftig in unregelmäßigen Abständen zur aktuellen Rechtsprechung in Hinblick auf die Künstlersozialkasse äußert.

medienvorsorge.de: Haben die Richter des Landessozialgerichts häufig mit Klagen von Künstlern zu tun?
Peter Allgeier: Nein, im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten handelt es sich um einen überschaubaren Bereich, z.Zt. sind beim Landessozialgericht NRW sieben Berufungsverfahren anhängig. Allerdings handelt es sich meist um aufwändigere Verfahren, häufig mit grundsätzlichen Fragestellungen, die nicht selten durch alle Instanzen gehen. 

Benötige ich als Künstler einen Anwalt, der mich vor Gericht vertritt oder kann ich alleine meine Rechtsauffassung vortragen?
Grundsätzlich kann sich jeder Künstler vor dem Sozialgericht oder dem Landessozialgericht selbst vertreten; erst vor dem Bundessozialgericht muss man sich durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen, also in der Regel durch einen Rechtsanwalt. Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob es zweckmäßig ist, schon früher einen Rechtsanwalt einzuschalten. Dies dürfte in Anbetracht der Tragweite der Entscheidung (Sozialversicherungspflicht; Verpflichtung zur Zahlung einer Künstlersozialabgabe) regelmäßig der Fall sein. 

Was sind die häufigsten Streitigkeiten?
Im Bereich „Versicherungspflicht“ ist häufig die Einordnung sog. gemischter Tätigkeiten streitig, also z.B. von Tätigkeiten, die sowohl kunsthandwerkliche oder sportliche als auch künstlerisch-kreative Elemente aufweisen. Dann muss unterschieden werden, ob der Schwerpunkt im künstlerischen Bereich liegt. In diesem Kontext befasst sich das Bundessozialgericht aktuell in dort anhängigen Revisionsverfahren mit den Berufsbildern des „Fotografen“, der „Modedesignerin“ und – im Segment der Publizistik – des „Online-Journalisten“. Ein anderer Schwerpunkt betrifft Fragen der Abgabepflicht: Welche Unternehmen, Vereine, Selbständige, die – auch – Verträge mit Künstlern oder Publizisten schließen, sind (ggf. noch: in welcher Höhe) abgabepflichtig? Welche Unternehmen fallen ggf. unter die sog. Generalklausel des § 24 Abs. 2 KSVG?

In der Kolumne in der Filmfachzeitschrift „Cinearte“ stellte medienvorsorge.de kürzlich noch einmal den Künstlererlass und die verschiedenen Beschäftigungsformen dar. Ein Thema, das auf viel Resonanz stieß, obwohl es ja eigentlich Grundlagenthemen sind. Sind die Künstler einfach schlecht informiert oder ist das ganze Konstrukt doch so kompliziert?
Tatsächlich ist es wohl eher so, dass viele Künstler die einschlägigen Vorschriften nicht (genügend) kennen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Künstler sich eher ungern in feste Regeln – und das sind Sozialversicherungsverhältnisse nun einmal – pressen lassen, und das vielen von ihnen insbesondere die Befassung mit solchen Themen widerstrebt. Das sollte sich natürlich ändern. Denn die Künstlersozialversicherung gewährleistet für selbständige Künstler (in erster Linie) Schutz vor Krankheit und stellt aus dem solidarischen System heraus Ansprüche bei Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit zur Verfügung. Eine aktuelle Studie der Universität Münster, erstellt im Auftrag des Bundesverbandes der Film- und Fernsehschauspieler, hat ergeben, dass die meisten Schauspieler in Deutschland miserabel verdienen. Das dokumentiert eine breite soziale Schutzbedürftigkeit in diesem Berufsbild. Ich glaube hingegen nicht, dass die Regelungen zur Sozialversicherungspflicht der Künstler und Publizisten zu kompliziert sind. Sie sind klar gefasst und werfen größere Probleme nur in Grenzfällen auf. Das ist aber in allen Rechtsgebieten so. Das geltende Recht ist justiziabel; Streitfragen werden von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zuverlässig beantwortet. 

Empfinden Sie das Sozialversicherungsrecht in Hinblick auf Künstler als gerecht oder bedarf es einer Reform der zum Teil doch sehr speziellen Beschäftigungsverhältnisse? So wurden die Regelungen zu „unständig Beschäftigten“ ursprünglich ja mal für Saisonarbeiter geschaffen. 
Es ist gerecht und bedarf auch keiner, jedenfalls keiner grundlegenden Reform. Es kommt nach geltendem Recht zunächst darauf an, ob materiell (d.h. unabhängig von der Bezeichnung im Vertrag!) eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt. Die abhängige Beschäftigung begründet kraft Gesetzes automatisch Versicherungspflicht (vgl. § 2 Abs. 2 SGB IV), sofern sie nicht (nach Entgelt oder Beschäftigungsdauer) nur geringfügig ist. Die selbständige Tätigkeit kann zur Versicherungspflicht nach dem KSVG führen. Es bedarf in jedem Einzelfall einer genauen Prüfung, ob das Gesetz beachtet wird. Bei Zweifel sollte kein Künstler, dem es um seine soziale Absicherung geht, den – gerichtskostenfreien – Weg in das sozialgerichtliche Klageverfahren scheuen. 

Nehmen wir einmal die Rechtsprechung zur Versicherungspflicht in der Künstlersozialkasse. Ist das nicht auch für Sie sehr schwer zu entscheiden, ob eine künstlerische Tätigkeit vorliegt oder nicht? Greift man da auf Gutachten zurück oder wie ist die Entscheidungsfindung?
Im Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3 Satz 1) ist die (im Prinzip schrankenlose) Freiheit der Kunst geregelt. Um diese bestimmen zu können, musste das Bundesverfassungsgericht bereits früh klären, was unter den (weiten) Kunstbegriff fällt. Es handelt sich dabei um die inhaltliche Ausgestaltung („Auslegung“) eines offenen Rechtsbegriffs, die ein Gericht in eigener Zuständigkeit vornehmen muss. Gutachten bedarf es nicht, weil das Gericht in Rechtsfragen selbst sachkundig ist. Das Bundessozialgericht hat als oberstes Bundesgericht im Laufe der Jahre Kriterien zum Kunstbegriff des KSVG (Stichwort: „freie, eigenschöpferische Leistung“) entwickelt, die zur Abgrenzung etwa von handwerklicher Betätigung heranzuziehen sind. Dabei geht es davon aus, dass das KSVG einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgibt, es also darauf ankommt, dass die Gattungsanforderungen einer bestimmten Kunstart (Musik, Schauspiel) erfüllt sind. Die Qualität spielt keine Rolle, weil der primäre Gesetzeszweck in der Einbeziehung sozial schutzbedürftiger selbständiger Künstler besteht. Deshalb ist auch qualitätsarme oder niveaulose Kunst vom Schutzbereich des KSVG umfasst.

Daher hat Ihr Gericht wohl auch entschieden, dass die Juroren von „Deutschland sucht den Superstar“ als Künstler anzusehen sind und RTL musste Künstlersozialabgaben abführen. Im Interview von medienvorsorge.de mit dem Jurymitglied Bär Läsker erwähnte dieser allerdings, dass nur Dieter Bohlen als Künstler eingestuft wurde, er hingegen nicht. Hat Herr Läsker sein künstlerisches Potential noch nicht erkannt oder wird da wirklich so unterschieden?
Die Auffassung von Herrn Läsker trifft nicht zu. Eine solche Unterscheidung ist in den einschlägigen Urteilen des Bundes- und des Landessozialgerichts nicht zu finden. Beide Gerichte haben bei ihren Entscheidungen keine Unterschiede zwischen den einzelnen Jurymitgliedern gemacht, sondern deren Auftritte in der Sendung einheitlich als Unterhaltungskunst (in Abgrenzung zur bloßen Unterhaltung) eingestuft. Herr Läsker kann also beruhigt seien: Künstlerisches Potenzial ist vorhanden; über die „Gestaltungshöhe“ (also die Qualität) ist damit allerdings noch nichts gesagt. 

Schaut man sich im Rahmen eines solchen Verfahrens Ausschnitte aus der Sendung an und beurteilt dann, ob es künstlerisch war oder nicht?
Ja, genauso wird es gemacht und muss es auch gemacht werden. Richter gehören meist nicht zu der bevorzugten Zielgruppe solcher Sendungen und können deshalb a priori zu Inhalt und Ablauf der Sendung wenig sagen. Sie müssen sich also „einarbeiten“. Das geht nur, indem man sich die Sendungen vor der mündlichen Verhandlung (in der Regel mehrmals) anschaut. In dem von Ihnen angesprochenen Verfahren ist in allen drei Instanzen so verfahren worden. Bedenken Sie auch, dass bei Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in allen Instanzen nicht nur Berufsrichter, sondern immer auch besonders sachkundige ehrenamtliche Richter an der Entscheidung beteiligt sind. Diese werden in der Regel in der mündlichen Verhandlung erstmals mit dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall befasst. Sie sind in dem genannten Verfahren ausnahmsweise schon im Vorfeld der Senatsberatung hinzugezogen worden, um sich ebenfalls durch Inaugenscheinnahme ein umfassendes Bild vom künstlerischen Gehalt der Jurorentätigkeit machen zu können. 

Haben Sie aktuell einen Fall eines Künstlers auf Ihrem Schreibtisch liegen?
Nein. Die Geschäftsverteilung ist in unserem Hause (wie auch beim Bundessozialgericht) so geregelt, dass nur ein einziger Senat (das Landessozialgericht hat derzeit 20 Senate) für die Künstlersozialversicherung zuständig ist. Diesem Senat gehöre ich derzeit nicht an. Ich kann allerdings ganz allgemein sagen, dass in den derzeit anhängigen Berufungsverfahren einige interessante Fragestellungen auftauchen, z.B. die Frage, ob auch ein Statist dem Katalogberuf „Schauspieler“ unterfällt oder ob ein Autor bereits ein Schriftsteller ist, wenn das einzige von ihm geschriebene, dem Verlag als Datei vorliegende Buch noch nicht gedruckt ist, weil noch nicht genügend Vorbestellungen vorliegen. Sobald Entscheidungen ergehen, will ich Sie gern aktuell informieren. 

Vielen Dank für das Interview und wir freuen uns, immer mal etwas von Ihnen zur aktuellen Rechtsprechung zu hören. 

Interview: Rüdiger Schaar